In den letzten 20 Jahren hat sich Frauen- und Geschlechterforschung an deutschen Hochschulen vielerorts etabliert – wenngleich oft noch prekär und nicht dauerhaft abgesichert. Dabei sind innovative Forschungsergebnisse in fast allen Disziplinen hervorgebracht worden. Zunehmend werden auch Forschungszugänge, die sich mit vielfältigen Diversitäts- und Ungleichheitskategorien beschäftigen, stärker sichtbar (s.u.). Eine wichtige Erkenntnis dieser beiden Entwicklungen ist, dass Analysen von Gender und Diversity dazu führen, dass Wissen kritisch analysiert wird und dessen Neutralität in Frage gestellt wird. Verzerrungen und Ausblendungen können aufgezeigt werden und führen zu spannenden, neuen Forschungsperspektiven und komplexeren Forschungsergebnissen. Zum Beispiel konnten für so unterschiedliche Forschungsgegenstände wie die Diagnose von Herzinfarkten, Fluchtgründe im Asylrecht, Personalauswahl oder Leistungsbewertung in der Schule neue Erkenntnisse gewonnen werden, die zu verbesserten praktischen Anwendungen beitragen.
In Deutschland hat sich die Gender- und Diversityforschung vor allem in einzelnen Fächern als disziplinäre Fragestellung etabliert und existiert bislang weniger als eigenes Fach, wie es z.B. an einigen US-amerikanischen Universitäten mit ganzen Departments dazu der Fall ist.
Diversityforschung ist zwar mehr und mehr auch unter diesem Namen zu finden, aber es gibt zahlreiche Forschungsgebiete, die sich mit dem Verständnis von und Umgang mit Diversity oder einzelnen Dimensionen von Diversity beschäftigen. Dazu gehören unter anderem Postcolonial Studies, Critical Race Studies, Disability Studies, Trans Studies, Antisemitismusforschung, Romany Studies, Queer Studies, Rassismusforschung, kritische Migrationsforschung, Elitenforschung und Forschung zu sozialer Ungleichheit.Die Gender- und Diversityforschung ist in Deutschland stark inter- und transdisziplinär vernetzt. Dies äußert sich organisatorisch in der Institutionalisierung von Zentren, wie z.B. an der Freien Universität seit 1981 als Zentraleinrichtung zur Förderung der Frauen- und Geschlechterforschung, deren Arbeit seit 2016 vom Margherita-von-Brentano-Zentrum übernommen wurde und das über disziplinäre Grenzen hinweg tätig ist. Auch inhaltlich wurden fachübergreifend theoretische und methodologische Wissensbestände entwickelt.
Die Integration von Gender und Diversity als Lehr- und Studieninhalt bedeutet, sich mit diesen Wissensbeständen vertraut zu machen, um die eigenen Lehr- und Studieninhalte zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Drei Aspekte, die miteinander zusammen hängen, sind dabei zentral:
„Unter Intersektionalität wird (…) verstanden, dass soziale Kategorien wie Gender, Ethnizität, Nation oder Klasse nicht isoliert voneinander konzeptualisiert werden können, sondern in ihren ‚Verwobenheiten‘ oder ‚Überkreuzungen‘ ( intersections ) analysiert werden müssen. Additive Perspektiven sollen überwunden werden, indem der Fokus auf das gleichzeitige Zusammenwirken von sozialen Ungleichheiten gelegt wird. Es geht demnach nicht allein um die Berücksichtigung mehrerer ...
Sowohl die Frauen- und Geschlechterforschung als auch die postkoloniale Forschung beschäftigen sich seit ihren Anfängen kritisch mit dem herrschenden Verständnis von Wissenschaft und ihrer erkenntnistheoretischen Grundlagen. Ein Aspekt ist hierbei die Rolle von Wissenschaftler*innen im Prozess der Wissensproduktion , also z.B. ihr Verhältnis zu ihrem Forschungsgegenstand oder den Forschungsobjekten. „Wissen vom Standpunkt des Unmarkierten ist wahrhaft phantastisch, verzerrt, und ...
Führt man die kritische Perspektive auf Prozesse und Ergebnisse der Wissensproduktion weiter, kommt man zwangsläufig zu der schwierigen Frage nach der Kanonbildung . Was als Teil des Kanons wahrgenommen wird, hängt damit zusammen, was als zentrales Wissen einer Disziplin anerkannt ist und was nicht. Was sind die Kriterien und Bewertungsmaßstäbe? Welche Autor*innen und Werke gelten als kanonisch und welche eher als dem Randgebiet eines Fachs zugehörig? „Der Kanon ist gemacht und hat ...