ArbeiterKind.de - Soziale Herkunft an Hochschulen
Welche Rolle spielt soziale Herkunft, also der Bildungshintergrund von Studierenden, aktuell an der Hochschule? Welche Erfahrungen machen Studierende, die als Erste in ihrer Familie studieren, im Unterscheid zu Studierenden mit akademischem Familienhintergrund?
"Studierende der ersten Generation", "first generation academics" oder "working class academics" - so bezeichnen sich Personen, die als Erste in ihrer Familie ein Studium begonnen haben. Bei diesen Selbstbezeichnungen handelt es sich um neutrale, beschreibende Formulierungen oder um die positive Betonung einer Vorreiter*innenrolle. Damit stehen die Begriffe im Gegensatz zu der häufig zu findenden Fremdbezeichung „bildungsferne Studierende“, die eine Distanz zur Norm, eine Abweichung, betont.
In diesem Good-Practice-Beispiel möchten wir eine Organisation vorstellen, die ebenfalls die Position als Vorreiter*in ins Zentrum stellt. Die gemeinnützige Organisation ArbeiterKind.de hat das Motto „für alle, die als erste in ihrer Familie studieren“. Motiviert durch ihre eigenen Erfahrungen als Studentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin gründete Katja Urbatsch 2008 ArbeiterKind.de. Was als ehrenamtliches Projekt begann, ist mittlerweile eine mehrfach ausgezeichnete Organisation mit fast 30 Mitarbeiter*innen in ganz Deutschland.
Soziale Herkunft als folgenreiche Diversitätsdimension
Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass die soziale Herkunft von jungen Menschen im deutschen Bildungssystem großen Einfluss auf Teilhabe und Erfolgschancen hat. Dies zeigt zum Beispiel der Vergleich der Anteile von Kindern aus akademischen und nicht-akademischen Familien auf verschiedenen Stufen des Bildungssystems: Je höher die Qualifikationsstufe, umso weniger Personen aus nicht-akademischen Familien verbleiben im System.
Quantitativ sind also Studierende der ersten Generation an Hochschulen eine Minderheit. Auch ein Großteil der Lehrenden und Hochschulmitarbeitenden in Leitungsfunktionen hat einen akademischen Familienhintergrund.
Dieses Ungleichgewicht führt dazu, dass Studierende der ersten Generation im Hochschulalltag häufig auch spüren, dass sie nicht der Mehrheit bzw. der Norm angehören. Sie fühlen sich nicht wirklich zugehörig und stellen in Frage, ob sie „richtig“ sind.
Wie kommt es zu dieser Erfahrung von Fremdheit und Ausschluss im Studium? Wo setzt die Organisation ArbeiterKind.de mit ihrem Engagement an? Wie können Hochschulen diversitätsbewusster mit sozialer Herkunft umgehen?
Interview mit Hannah Rindler
Wir haben mit der Bundeslandkoordinatorin für Berlin, Hannah Rindler, über ArbeiterKind.de gesprochen. Sie ist Ansprechperson für aktuell rund 300 ehrenamtliche Berliner Mentor*innen aus allen Altersgruppen und sozialen Schichten, die gemeinsam jährlich rund 1.000 Schüler*innen aus Familien ohne akademische Tradition erreichen. Auerdem steht sie mit Schulen, Hochschulen und weiteren Bildungsakteuren im Austausch zu den Erfahrungen von Erstakademiker*innen.
- Frage 1: Welche Erfahrungen machen Studierende, die als Erste in ihrer Familie studieren? ab 00:10 Min
- Frage 2: Was bietet ArbeiterKind.de an? Wer kann mitmachen? ab 02:34 Min
- Frage 3: Was können Hochschulen tun, um Studierende, die als Erste in ihrer Familie studieren, zu unterstützen und Diskriminierung von "first generation academics" oder "working class academics" zu bekämpfen? ab 05:14 Min
Hannah Rindler studierte selbst als Erste in ihrer Familie und erlangte einen Masterabschluss in Soziologie. Ihre beruflichen Stationen sind die Koordination von interkulturellen Bildungsprojekten bei Joliba e.V., die Ehrenamtskoordination in der Flüchtlingshilfe beim Bezirksamt Spandau in Berlin und seit 2018 die Koordination der Berliner Ehrenamtlichen von ArbeiterKind.de.
Kontakt:
Mail: rindler@arbeiterkind.de
Tel: 030 31 42 57 94 oder 0176 87 84 00 68
Kemper, Andreas; Weinbach, Heike. 2016. Klassismus. Eine Einführung. Münster: Unrast-Verlag.
Middendorf, Elke u.a. 2017. Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerksdurchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Bonn/Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Möller, Christina. 2015. Herkunft zählt (fast) immer. Soziale Ungleichheiten unter Universitätsprofessorinnen und -professoren. Weinheim:Beltz-Juventa.
Reuter, Julia; Gamper, Markus; Möller, Christina; Blome Frerk (Hg.). 2020. Vom Arbeiterkind zur Professur. Sozialer Aufstieg in der Wissenschaft. Bielefeld: transcript.
Schmitt, Lars. 2018. Der Herkunft begegnen ... – Habitus-Struktur-Reflexivität in der Hochschullehre. In: Auferkorte-Michaelis, Nicole; Linde, Frank (Hg.). Diversität lernen und lehren – ein Hochschulbuch. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara Budrich, 135–150.
Version März 2020. Soweit nicht anders gekennzeichnet, ist dieses Werk unter einer Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz lizensiert.